Reduzierung der PKW-Stellplätze auf dem Eiermann-Campus
Zusammengestellt und kommentiert von Prof. Dr. Logi Gunnarsson und Prof. Dr. Holger Zuck
Es wird von Politik und Verwaltung häufig angenommen , dass weniger PKW-Stellplätze auf dem Eiermann-Campus (VAI Campus) gebaut werden müssen, wenn der Eiermann-Campus mit einer Seilbahn im Gegensatz zu Bussen erschlossen wird. Im Folgenden wird nachgewiesen, dass diese Annahme unbegründet ist.
Diese Annahme kommt beispielweise in der Beschlussvorlage für die Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Technik vom 19. Januar 2021 zum Ausdruck, auf deren Grundlage die vertiefte Seilbahnstudie beauftragt wurde. Konkret steht in der Beschlussvorlage:
„Für die Erschießung des VAI Campus bietet eine Seilbahn die Möglichkeit, die damit erreichbare optimale Erschließung durch den ÖPNV mit der Erfordernis der Anzahl baurechtlich notwendiger Stellplätze zu koppeln. Das heißt, in diesem Fall wird die Voraussetzung geschaffen, auf ca. 50% der nachzuweisenden Stellplätze zu verzichten wie sie bei einer optimierten Buserschließung erforderlich wären.“
Beschlussvorlage des Referats Städtebau, Wohnen und Umwelt vom 20.11.2020 zu GRDrs 1035/2020 (“Machbarkeitsstudie Seilschwebebahn”) für eine Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Technik vom 19.01.2021, S. 3.
Worauf gründet diese Annahme in der Beschlussvorlage? Auf unsere Nachfrage haben Verwaltung und Politik diese Annahme mit Verweis auf die „Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur über die Herstellung notwendiger Stellplätze (VwV Stellplätze)“ begründet.
Mit Verweis auf diese Verwaltungsvorschrift lässt sich diese Annahme aber nicht begründen. Die Verwaltungsvorschrift hat den Rechtsstatus einer „ermessensbindende Richtlinie“. Dies bedeutet: Wenn es gute Gründe gibt, sich an die Verwaltungsvorschrift nicht zu halten, ist man nicht an sie gebunden. Wenn es sich also begründen lässt, dass der Eiermann-Campus mit einer Busverbindung besser als mit einer Seilbahnverbindung zu erschließen ist, lässt sich ein Vorteil der Seilbahn bezüglich der Reduzierung von PKW-Stellplätzen mit Verweis auf diese Verwaltungsvorschrift nicht begründen (Näheres zur juristischen Erläuterung: siehe unten).
Wie alle Unterstützerinnen und Unterstützer der Bürgerinitiative „Rettet-das-Rosental“ wissen, würde der Eiermann-Campus über Busverbindungen besser als über eine Seilbahn erschlossen werden: Busse können den Eiermann-Campus mit vielen Orten verbinden (Sindelfingen, Böblingen, Büsnau, den Schulen in Vaihingen, dem Ortskern Vaihingen und der Universität). Zu all diesen Destinationen würde eine Seilbahn nicht führen.
Zusammenfassend muss man also festhalten: Die Behauptung, die Seilbahn habe gegenüber Bussen bezüglich der Reduzierung von PKW-Stellplätzen auf dem Eiermann-Campus einen Vorteil, ist bloß eine unbegründete Annahme!
Ausführlichere juristische Erläuterung des Sachverhalts
„Schon früh erkannte der VGH BW, dass der Baurechtsbehörde bei der Ermittlung der Zahl der notwendigen Stellplätze kein Beurteilungsspielraum zusteht (VGH BW, Urt. v. 27.03.1985, 3 S 2183/84, LS 1, juris; VGH BW, Urt. v. 14.08.1997 – 5 S 2549/95, Rn. 22, juris; VGH BW, Urt. v. 17.12.1999 – 5 S 50/97, Rn. 16, juris). Insbesondere macht das Gesetz die Anzahl der notwendigen Stellplätze nicht von Kapazitätsberechnungen, sondern von der Menge der zu erwartenden Kraftfahrzeuge abhängig (VGH BW, Urt. v. 14.03.2001 – 8 S 2257/00, Rn. 26, juris). Das gilt auch bei der Änderung von baulichen Anlagen, wobei es hier nur auf den Mehrbedarf gegenüber dem bisherigen Bedarf ankommt (VGH BW, Urt. v. 14.08.1997 – 5 S 2549/95, Rn. 21, juris; VGH BW, Urt. v. 17.12.1999 – 5 S 50/97, Rn. 16, juris).
Andererseits kommt es bei der Ermittlung der Zahl der notwendigen Stellplätze auf Lage, Nutzung, Größe und Art des Vorhabens an, also auf die Umstände des Einzelfalls (VGH BW, Urt. v. 14.08.1997 – 5 S 2549/95, Rn. 22, juris; VGH BW, Urt. v. 17.12.1999 – 5 S 50/97, Rn. 16, juris). Die Richtzahlen der VwV Stellplätze können insoweit als Orientierungsrahmen herangezogen werden, ungeachtet ihres bauordnungsrechtlichen Charakters sogar im Bauplanungsverfahren (VGH BW, Urt. v. 14.08.1997 – 5 S 2549/95, Rn. 22, juris; VGH BW, Urt. v. 17.12.1999 – 5 S 50/97, Rn. 16, juris; VGH BW Urt. v. 24.02.2016 – 3 S 1256/15, Rn. 61, juris; VGH BW, Urt. v. 14.03.2001 – 8 S 2257/00, Rn. 28, juris, spricht insoweit von “interpretierenden Hinweisen”). Allerdings kommt ihnen keine Bindungswirkung zu; vielmehr ist sie nur als erste Orientierung für den Stellplatzbedarf heranzuziehen. Eine schematische Anwendung ist dann ausgeschlossen, wenn die VwV Stellplätze den voraussichtlichen Stellplatzbedarf für die konkret in den Blick zu nehmende Verkehrsquelle nicht mehr realistisch abbildet (VGH BW Urt. v. 24.02.2016 – 3 S 1256/15, Rn. 61, juris). Wenn eine Behörde von der VwV Stellplätze abweichen will, muss sie die hierfür sprechenden Besonderheiten in ihrem Gemeindegebiet aber zumindest darlegen (OVG RhPf, Urt. v. 07.10.2015 – 8 C 10371/15, Rn. 20, juris).
Deshalb hat der VGH BW entschieden, dass etwa für den Betrieb einer Festhalle, deren zulässige Nutzung auch Veranstaltungen für Hochzeiten, Geburtstagsfeiern, Geschäftsfeiern und ähnliches mit bis zu 500 Personen ermöglicht, 110 Stellplätze nicht ausreichend sind, insbesondere wenn sich 18 dieser Stellplätze in größerer Entfernung zu der Festhalle befinden und dem ÖPNV gerade in den Nachtstunden nahezu keine Bedeutung zukommt. Der ÖPNV sorgt insoweit für keine erwähnenswerte Entlastung (VGH BW Urt. v. 24.02.2016 – 3 S 1256/15, Rn. 62, juris).
Andererseits hat der VGH BW es nicht nachvollziehen können, wenn die Behörde einfach rein spekulativ unterstellt, die in der Gaststätte verkehrende Klientel benutze den ÖPNV nicht, insbesondere bei einer verkehrsgünstigen Lage der Gaststätte in der Innenstadt. Das gilt selbst dann, wenn die Gaststätte erst ab 17 Uhr öffnet, denn auch in den Abend- und Nachtstunden sei eine Nutzung des ÖPNV möglich und deshalb zu erwarten, dass jedenfalls ein Teil der Gaststättenbesucher diesen auch tatsächlich benutzt (VGH BW, Urt. v. 28.11.2019 – 5 S 1790/17, Rn. 76, juris).
Dasselbe gilt, wenn einfach unterstellt wird, dass Gaststätten häufiger mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufgesucht werden als Hotels oder Pensionen, insbesondere wenn diese in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Bahnhof oder mehrerer Bushaltestellen gelegen sind. Deshalb muss ein Hotel in der Nähe zum ÖPNV anders beurteilt werden als ein Hotel, das abseits aller Bahn- und Buslinien gelegen ist (VGH BW, Urt. v. 14.03.2001 – 8 S 2257/00, Rn. 28 f., juris).
Umgekehrt erscheint der Ausgangspunkt unrealistisch, dass Studenten oder Auszubildende, die in einem Gebäude eingemietet sind, keinen Stellplatzbedarf auslösen (VGH BW, Urt. v. 24.06.2021 – 8 S 1928/19, Rn. 59, juris). Selbst wenn sie häufig die gute ÖPNV-Anbindung nutzen oder auf das Fahrrad als Verkehrsmittel zurückgreifen sollten, dürfte dies nicht den Schluss rechtfertigen, sämtliche Bewohner würden zu allen Zeiten auf die Nutzung eines Autos verzichten. Außerdem sei damit zu rechnen, dass auch Besucher, Lieferanten, Hol- und Bringdienste usw. den Stellplatzbedarf beeinflussen. Dasselbe gilt für Wohngruppen für Menschen mit Behinderung (VGH BW, Urt. v. 24.06.2021 – 8 S 1928/19, Rn. 59, juris).
Letztendlich wird es immer auf die Leistungsfähigkeit des ÖPNV im Einzelfall ankommen (vgl. VGH BW, Urt. v. 17.12.1999 – 5 S 50/97, Rn. 19, juris, hier abgelehnt wegen mangelnder Mindestaktfolge). Insbesondere in den Nachtstunden muss genau geprüft werden, ob dem ÖPNV überhaupt eine Bedeutung zukommt, wenn das Angebot an Verbindungen zu vernachlässigen ist (VGH BW, Urt. v. 24.02.2016 – 3 S 1256/15, Rn. 62, juris)“