Analyse zum Projekt “Seilbahntrasse Vaihingen”
von Professor Uli Seher, Dipl. Ing. Architecte Urbaniste,Ecole Nationale Supérieuer d’Architecture de Toulouse, Université Fédérale Toulouse
Ich unterrichte und forsche seit über 15 Jahren mit meinem Lehrstuhl für zwischenmassstäbliches metropoles Entwerfen als Architekt und Stadtplaner an der Architekturhochschule in Toulouse, die der Universität Toulouse zugeordnet ist.
Wir erarbeiten mit unseren Lehrkräften, Studierenden und unseren institutionellen Partnern aus der Metropolregion Toulouse viele stadtplanerische und architektonische Themen, die mit modernen Mobilitätskonzepten im öffentlichen Nahverkehr, Mischnutzungen im Stadtgefüge, Nahrungsmittel- und Energieautonomie von nachhaltigen Bioregionen zu tun haben.
Urbane Seilbahn in Toulouse
In Toulouse konnten wir in den letzten Jahren die Ideenfindung, Planung und den Bau einer urbanen Seilbahn beobachten und hautnah verfolgen. Die Hauptargumente der Stadt, eine urbane Seilbahn in das Stadt- und Landschaftsgefüge einzubinden, um damit zentrale Gesundheitseinrichtungen und deren Universität mit 40.000 Studierenden zu versorgen, waren die extreme topographische Lage des Ortes und die quasi hundertprozentige Herkunft des elektrischen Stroms aus der Atomkraft, was den Stromfresser zu einem ökologischen Vorhaben werden ließ.
Dennoch wurden viele Aspekte der Nachhaltigkeit, der Biodiversität, der Gesundheit, der Nutzungseffizienz, des Unterhalts und auch der Belastung für Anwohner sehr konträr diskutiert. Aus Sicht der Betreiber stellte sich der häufige Ausfall der Seilbahn aufgrund von Wind als Hauptproblem heraus. Eine hundertprozentige Serviceleistung des öffentlichen Nahverkehres lässt sich damit nicht erreichen und schwächt somit das Vertrauen in das Verkehrsmittel.
Die umstrittene Umsetzung verdankt das Bauvorhaben dem französischen Rechtssystem, in dem Bürgermeister alleinige Entscheidungsgewalt genießen. Prognosen aus der Toulouser Stadtpolitik lassen heute kein Zweifel daran, dass die Umsetzung des umstrittenen Projektes den nächsten Wahlausgang nachhaltig beeinflussen werden.
Aus diesen Erfahrungen und ganzheitlichen Gesichtspunkten heraus habe ich mich mit der Machbarkeitsstudie Seilschwebebahnen in Stuttgart auseinandergesetzt und versucht, in drei Kapiteln die Schwierigkeiten eines solchen Vorhabens zu beleuchten.
Kapitel 1: Nachhaltigkeit, Naturraumbilanz und Gesundheit
1. Abholzung für die Seilbahntrasse
Die für Bau und Betrieb einer Seilbahn notwendige, massive Abholzung von wertvollem, sich in mittlerem Alter befindenden Baumbestand inmitten eines ökologisch wertvollen Naturraums ist kritisch zu sehen. Die betroffenen Bäume schützen jüngere Bäume und Baumarten und stellen somit ein unersetzliches Bindeglied im Ökosystem dar.
2. Betonfundamente der Seilbahnmasten
Die Infrastruktur einer Seilbahn stützt sich auf mächtige Mastenanlagen, welche mit schweren Betonfundamenten geründet werden. Wegen der auftretenden Windlast und für ein maximales Nutzungspotential sind die dazu notwendigen Eingriffe sehr tief und werden mit Beton realisiert. Abgesehen von den folgenschweren Eingriffen in den wasserführenden Schichten des Bodens und den zu erwartenden Störungen im Grundwasserverhalten kommt dabei CO²-lastiges Baumaterial zum Einsatz. Beton und Stahl sind weder nachhaltig noch umweltverträglich und zählen nach den Kyoto-Kriterien nicht zu den zukunftsweisenden Baustoffen. Im Sinne einer vorbildlichen Öko-Region Stuttgart sollte darauf unbedingt generell verzichtet werden.
3. Kabelführung
Entlang der Seilbahntrasse werden unterirdisch Stark- und Schwachstromkabel verlegt. Die dafür notwendigen Bodenfurchen zerschneiden relevante Biotope innerhalb der Landschaftsschutzgebiete, wodurch das gesamte, nicht mehr völlig zusammenhängende Ökosystem an Wert verliert. Auch das Vorhandensein elektromagnetischer Felder muss im Hinblick auf die natürlichen Nistplätze verschiedener Vogelarten, aber auch für die sich dort aufhaltenden Menschen äußerst kritisch betrachtet werden.
Kapitel 2: Energie, Nutzungseffizienz und Finanzierung über Steuergelder
1. Effizienz und Energiebilanz
Seilbahnen erfordern hundertprozentigen Vollbetrieb, um Nutzer befördern zu können. Ein Dimmen oder Hochfahren der Transportleistung, um bedarfsbedingte Stoßzeiten zu bewältigen, ist damit weitgehend ausgeschlossen. Ein Wohnquartier, das hauptsächlich morgens und abends auf öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist, ist folglich für eine Seilbahn kein tragfähiges Betriebs- und Investitionsmodell. Erschwerend kommt hinzu, dass das anzubindende Wohnquartier erst über die nächsten Jahre hinweg entstehen soll und sich ein langsames Hochfahren des öffentlichen Verkehrsangebots mit einer Seilbahn nicht realisieren lässt. Die Bilanz von Aufwand und Nutzen, investierter Energie und transportierten Personen, Fahrpreis und realisierter Entfernung schlägt folglich weit in den roten und sinnlosen Bereich.
2. Unterhalt und Wartung
Auch Unterhalt und Wartung der Anlage sind äußerst aufwendig. Eigens dafür geschultes Personal muss vom Betreiber ausgebildet und bereitgehalten und kann nicht aushilfsweise bei anderen Verkehrssystemen eingesetzt werden. Dieser Flexibilitätsverlust generiert betriebsbedingten Leerlauf von hochqualifiziertem Personal und damit dem Betreiber hohe anzulastende Kosten für einen relativ geringen Service.
3. Topografie
Seilbahnen sind in topografisch schwierigen Situationen besonders effizient, da sie leicht große Höhenunterschiede überwinden können. Ohne größere topografische Hindernisse wie Berge oder Flüsse ist der Aufwand einer Seilbahn nicht zu rechtfertigen und wird mittel- und langfristig hohe Kosten für den Bürger und Steuerzahler verursachen, ohne wirklichen Mehrwert zu generieren.
Kapitel 3: Anwohnerprobleme, Grundgesetz
1. Lärmbelastung
Auch für die Anwohner sind große Probleme zu erwarten. Abgesehen von der funktionalen, dem Transport und der Bewegung zuzuschreibenden akustischen Belastung, die eine solche Anlage mit sich bringt, muss mit störenden Windgeräuschen gerechnet werden. Da das Rosental in Ost-West-Richtung verläuft, muss mit unangenehmen, die zulässigen Werte weit übersteigenden Störungsgeräuschen aufgrund des Windes gerechnet werden.
2. Einsehbarkeit in Wohnungen und Gärten
Auch die Einsehbarkeit von Wohnungen und Gärten wird Schwierigkeiten für die Anwohner generieren. Die zu erwartende Trassenführung entlang der Vollmoeller- und Freibadstraße verläuft sehr nah an sensiblen privaten Wohngebäuden und privaten Gärten. Um den in Artikel 12 des Grundgesetzes verankerten Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten, wird ein Abstand erforderlich, der sich angesichts der beschränkten Voraussetzungen kaum verwirklichen lässt.